Hier steht eine Geschichte: Historisches Herrenhaus
Das sogenannte Herrenhaus ist das älteste noch erhaltene Wohnhaus Berlins. Die Grundmauern entstanden 1560, seitdem wurde das Haus mehrfach umgebaut und erweitert. Auch hatte es im Verlauf verschiedene Funktionen. Heute beinhaltet es das Museum mit wechselnden Sonderausstellungen und einige Verwaltungsräume der Domäne Dahlem.
Über 400 Jahre Geschichte
Das Herrenhaus hat in seiner 464-jährigen Geschichte viele unterschiedliche Funktionen gehabt: Es war Wohnhaus, Forschungseinrichtung, Verwaltungsgebäude und Museum.
1560 errichtete die Familie Spiel das Gebäude als Fachwerkhaus auf dem Gut, das bereits seit 1484 im Familienbesitz war. Wilmerstorff, Kreiskommissar und später erster Landrat des Teltowischen Kreises, kaufte das Gut 1661 und baute das Gebäude stark um. Die Außenmauern des Fachwerkhauses wurden dabei durch massives Mauerwerk ersetzt und der Eingang des Hauses auf die Hofseite verlegt. In den Jahren 1912-1913 wurde das Gebäude nochmals erweitert. Es entstand der Teil, in dem sich heute die Verwaltungsräume befinden. Das Herrenhaus diente in der Folge als Wohnhaus und Verwaltungsgebäude für die wechselnde Gutshofleitung.

Der Gutsverwalter und Zwangsarbeit auf der Domäne
Im Nationalsozialismus lebte in den Räumen der Gutsverwalter Gottlieb Kübler (1885–1959) mit seiner Familie. Seine Biografie gibt uns Anhaltspunkte über die bisher wenig erforschte Rolle des Landguts in der NS-Diktatur. Die Recherchen sind langwierig und dauern an. Erste Ergebnisse geben Einblick in die belastete Geschichte des Landguts:
Gottlieb Kübler war von 1930 bis 1945 Verwalter auf der Domäne Dahlem. Sein Stellvertreter war der Rechnungsführer Wilhelm Müller. Beide waren Mitglieder der NSDAP. Kübler übernahm in Dahlem die Funktion des „Ortsbauernführers“, der untersten Position des „Reichsnährstands“. In dieser nationalsozialistischen Organisation waren sämtliche landwirtschaftliche Betriebe gleichgeschaltet.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Domäne Dahlem als „kriegswichtiger” Milchbetrieb eingestuft, da sie für die Ernährung der Bevölkerung in der Kriegswirtschaft sorgen sollte. Das Landgut konnte somit über die gesamte Kriegszeit hinweg die Produktion fortführen. Ermöglicht wurde dies durch den Einsatz von Zwangsarbeit. Wir wissen heute von mindestens 80-90 Zwangsarbeitenden, die ab 1941 auf der Domäne Dahlem zur Arbeit gezwungen wurden. Hierbei handelte es sich laut Zeitzeug:innenberichten um Kriegsgefangene aus Frankreich und der Sowjetunion sowie zivile Zwangsarbeiter:innen aus der Ukraine und Polen. Einige von ihnen waren in dem schräg gegenüberliegenden Pferdestall – dem heutigen Culinarium – untergebracht.
Während der Luftangriffe der Alliierten auf Berlin wurden auf der Domäne Dahlem etliche Gebäude beschädigt und Tiere verletzt und getötet. Das Herrenhaus blieb nahezu verschont. In der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte es daher wie bereits im Ersten Weltkrieg auch nach 1945 als Ausgabestelle für Lebensmittelmarken genutzt werden. Gottlieb Kübler wurde trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft, seiner Rolle als NS-Funktionsträger und dem Einsatz von Zwangsarbeitenden nach dem Krieg lediglich als „Mitläufer“ eingestuft.
Die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen auf der Domäne Dahlem im Nationalsozialismus und das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft ist uns wichtig. Heute stehen wir für eine Domäne Dahlem ein, die sich an demokratischen Werten orientiert.
Die Freie Universität auf der Domäne Dahlem
Nach der Besatzungszeit wurde die Domäne Dahlem 1949 Eigentum der Stadt Berlin und 1958 in die Berliner Stadtgüter eingegliedert. Weiterhin lag der Schwerpunkt auf der Erzeugung von Vorzugsmilch. Anfang der 1950er Jahre zog die Veterinärmedizin der Freien Universität (FU) in das Herrenhaus ein. In diesem Zuge wurde das Gebäude erneut umgebaut und saniert. Unter anderem wurde ein neuer Dachstuhl errichtet, wobei die Substanz des Bauwerks von Cuno Hans von Wilmerstorff zerstört wurde. Die Veterinärmediziner:innen der FU richteten im Herrenhaus Laboratorien und sogar einen Hörsaal ein. Die ehemalige Kapelle wurde als Sitzungs- und Prüfungszimmer genutzt. Nicht nur das Herrenhaus wurde der FU zur Nutzung überlassen, sondern auch der ehemalige Kuhstall und der ehemalige Schweinestall.
Das Museum
Als 1976 beschlossen wurde, die letzten verbleibenden West-Berliner Stadtgüter Marienfelde und Domäne Dahlem aufzulösen, gründete sich der Verein der Freunde der Domäne Dahlem. Er wollte das Gelände der Domäne bewahren und eine vollständige Übernahme durch die FU dadurch verhindern. Unter dem Titel „Freilichtmuseum Berlin Dahlem e.V. – Museum für Deutsche Landwirtschaft und Deutsches Handwerk auf der ehem. königl. preußischen Domäne Dahlem“ entstand die Idee, ein Museum zu gründen. Ein Grundgedanke war es, dem „Großstadtkind“ zu verdeutlichen, woher die Lebensmittel kommen und wie Landwirtschaft funktioniert. In den Anfangsjahren veranstaltete der Verein die ersten Marktfeste auf dem Gelände und fing an, Landwirtschaft mit Tierhaltung und verschiedene traditionelle Handwerksgruppen zu betreiben.
1979 räumte die Freie Universität das Herrenhaus und der Verein bezog das Gebäude. Seit 1987 wurde die Domäne Dahlem öffentlich durch die Senatsverwaltung für Kultur gefördert. Damit ging auch eine umfassende denkmalpflegerische Restaurierung des Herrenhauses einher. Dabei konnte die historische Grundstruktur des Herrenhauses, die nach den Sanierungs- und Umbauarbeiten verschwand, wieder sichtbar gemacht werden.
Die Wiedereröffnung des renovierten Herrenhauses als Museum erfolgte 1989. Seitdem können das Kellergewölbe und die Kapelle aus dem 16. Jahrhundert im Herrenhaus besichtigt werden. Außerdem sind die Grundstrukturen des Gebäudes an einigen Stellen durch eingesetzte Glasplatten sichtbar. Das Herrenhaus ist seitdem auch Ort für regelmäßig wechselnde Ausstellungen zu Themen der Ernährung und Landwirtschaft.


1995 übernahm die Stiftung Stadtmuseum Berlin die Trägerschaft für die Domäne Dahlem und der Verein wurde zum Förderverein. 2009 gab es die vorerst letzte strukturelle Veränderung: Die Stiftung Domäne Dahlem – Landgut und Museum löste die Stiftung Stadtmuseum Berlin in der Trägerschaft ab.
Heute sind im Erdgeschoss des Herrenhauses dauerhafte Rauminstallationen zu sehen, die spannende historische Orte der Jahrhundertwende im Kontext von Landwirtschaft und Ernährung inszenieren. Im Obergeschoss befindet sich das Armbruster Zimmer mit historischen Objekten der Sammlung des bedeutenden Bienenkundlers Prof. Dr. Ludwig Armbruster. Zudem wird die Fläche für wechselnde Ausstellungen genutzt. Aktuell kann dort die Ausstellung “Sammlung Domäne Dahlem – Geschichten und Objekte” besucht werden.
Herrenhaus? Gutshaus!
Der Begriff Herrenhaus bezeichnet ursprünglich den Sitz der patriarchalen Gutsherrschaft. Aktuell wird über eine Umbenennung des Herrenhauses in die neutrale Bezeichnung Gutshaus nachgedacht, um eine kritische Sicht auf historische Macht- und Herrschaftsstrukturen zu reflektieren.
Sammlung Domäne Dahlem. Geschichten und Objekte
07.07.2023 – 04.08.2024
MUSEUM IM HERRENHAUS
MI-SO, 10:00 – 17:00 UHR
Quellen:
Freie Universität Berlin: Domäne Dahlem. Veterinärmedizinische Bibliothek, online verfügbar unter: https://www.vetmed.fu-berlin.de/bibliothek/archiv/dahlem/domaene/index.html [zuletzt 4.6.2024]
Landesdenkmalamt Berlin: Domäne Dahlem. Denkmaldatenbank, online verfügbar unter: https://denkmaldatenbank.berlin.de/daobj.php?obj_dok_nr=09075371,T [zuletzt 4.6.2024]
Lummel, Peter (1997): Von der preußischen Domäne zum Berliner Stadtgut. In: Lummel, Peter (Hrsg.): Vom Berliner Stadtgut zum Freilichtmuseum. Geschichte und Geschichten der Domäne Dahlem, Dahlemer Materialien 5, S. 71-93.
Lummel, Peter (1997): Neue Gebäude und neue Nutzer auf dem Gutsgelände. In: Lummel, Peter (Hrsg.): Vom Berliner Stadtgut zum Freilichtmuseum. Geschichte und Geschichten der Domäne Dahlem, Dahlemer Materialien 5, S. 131-140.
Mähnert, Joachim (1997): Dahlem und die Domäne Dahlem. In: Lummel, Peter (Hrsg.): Vom Berliner Stadtgut zum Freilichtmuseum. Geschichte und Geschichten der Domäne Dahlem, Dahlemer Materialien 5, S. 7-25.
Pohl, Rainer (1997): Bauforschung und Restaurierung des Herrenhauses. In: Lummel, Peter (Hrsg.): Vom Berliner Stadtgut zum Freilichtmuseum. Geschichte und Geschichten der Domäne Dahlem, Dahlemer Materialien 5, S. 27-39.
Quilisch, Martin (1997): Die Domäne Dahlem lebt! Geschichte und Geschichten einer Initiative für Berlin. In: Lummel, Peter (Hrsg.): Vom Berliner Stadtgut zum Freilichtmuseum. Geschichte und Geschichten der Domäne Dahlem, Dahlemer Materialien 5, S. 171-186.