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Blogartikel
25. April 2023

Frei von Torf und biodivers!

Salat
Foto: Domäne Dahlem
2023-04-26

Interview mit Markus Heiermann, Leiter des Gemüseanbaus der Domäne Dahlem, zu den Anbauplänen in 2023 und Neuerungen bei der Jungpflanzenaufzucht

Domäne Dahlem: Beim Frühlingsfest (06. – 07. Mai, 10:00-18:00 Uhr) verkauft die Domäne Dahlem traditionell Jungpflanzen für Balkon und Garten. Woher kommen diese Pflanzen?
Markus Heiermann: 95% der Pflanzen haben wir in den letzten zwei Monaten selbst angezogen. Für die Tomaten haben wir eigenes Saatgut produziert. Bei anderen Jungpflanzen haben wir Bio-Saatgut gekauft. Die Anzucht erfolgte in unserem Gewächshaus und im Folienhaus – also im geschützten Raum, der leicht geheizt wird. Im Mai ist nun der richtige Zeitpunkt, um Jungpflanzen wie Tomaten, Gurken, Zucchini oder Kürbis in die Erde zu bringen.

Domäne Dahlem: Es gab wesentliche Veränderungen bei der Produktion von Jungpflanzen auf der Domäne zu Gunsten der Nachhaltigkeit. Welche?
Markus Heiermann: Jungpflanzenerde besteht normalerweise zu 70-90% aus Torf. Wir verwenden seit diesem Jahr Erde, die komplett frei von Torf ist. Die neue Erde stammt aus einem Kompostverfahren, bei dem Terra Preta1, ein mit Pflanzenkohle arbeitendes Verfahren, eingesetzt wird.
Für die Gewinnung von Torf werden Moore immer noch trockengelegt. Um dem Klimawandel vorzubeugen, müssten wir die Moore aber eigentlich im großen Stil wieder renaturieren. Daher ist die Torffreiheit in der Jungpflanzenanzucht ein echter Schritt nach vorne! Ganz einfach ist das allerdings nicht: Torf hat Eigenschaften, die normale Erde nicht mitbringt, vor allem ein hohes Wasserhaltevermögen. Aber es gibt inzwischen einige Betriebe, die torffreie Jungpflanzenerden herstellen, besonders im Biobereich. Deswegen konnten wir jetzt die Umstellung starten.

Domäne Dahlem: Welche Umstellungen gab es noch?
Markus Heiermann: Auch die Töpfe für die Jungpflanzen sind jetzt frei von Torf. Im letzten Jahr haben wir Töpfe gefunden, die aus Sägespänen produziert werden. Dabei werden naturreine Sägespäne aus Sägewerken im Hochdruckverfahren zusammengepresst, ohne Kleber. Also ein richtig toller Werkstoff. Jetzt können unsere Jungpflanzen in diesem Topf, den sie einfach durchwurzeln können, in die Erde gepflanzt werden.

Domäne Dahlem: Welche Auswirkungen hat die Umstellung auf torffreie Erde und Töpfe für den Gemüsebaubetrieb und den Endverbraucher?
Markus Heiermann: Wegen des begrenzten Angebots auf dem Markt müssen wir mit dem doppelten Preis rechnen. Würde die Massenproduktion beginnen, z.B. weil Plastiktöpfe und Töpfe aus Torf verboten werden, ginge der Preis wieder runter. Bis dahin wird es anteilig auch für den Endverbraucher teurer.

Domäne Dahlem: Welche Jungpflanzen wird man beim Frühlingsfest kaufen können?
Markus Heiermann: Unser Hauptkultur ist die Tomate. Wir verkaufen 17 unterschiedliche Sorten für Balkon, Wintergarten und Freiland – groß, klein, gelb, grün, rot, süß, sauer… Dann haben wir noch weitere Fruchtgemüse im Angebot wie Paprika, Gurke, Zucchini und Kürbis. Auch verschiedene Kräuter und Zierpflanzen stehen zum Verkauf: Kornblume, Calendula, Sonnenblume, Prachtwinde und Kapuzinerkresse werden auf jeden Fall dabei sein.

Domäne Dahlem: In diesem Jahr wurde der Gemüseanbau auf der Domäne Dahlem noch stärker auf dem Bedarf des Landgasthauses ausgerichtet.
Markus Heiermann: Unser Motto auf der Domäne ist „Vom Acker auf dem Teller“. Nur konsequent, diesen Aspekt auch in der eigenen Gastronomie umzusetzen. Das kommt bei unseren Gästen sehr gut an und unser Küchenchef und Leiter der Gastronomie, Marcel Beley, ist dafür genau der richtige Mann. Wir haben uns am Ende der letzten Saison hingesetzt, um für dieses Jahr eine Anbauplanung zu machen. Im Ergebnis haben wir unsere Gemüseproduktion für das Landgasthaus deutlich vergrößert. Und in diesem Jahr gibt es im Landgasthaus ein Gemüse des Monats. Im Mai sind es die Salate. Im Juni haben wir dann den Mangold im Fokus, im Juli die Bohnen – eben der Saison angepasst.

Domäne Dahlem: Das heißt, alles Gemüse auf den Tellern im Landgasthaus stammt ab jetzt aus dem eigenen Anbau?
Markus Heiermann: Das ist das Ziel! Und wenn wir doch im Einzelfall Gemüse zukaufen müssen, dann nur aus der Region.

Domäne Dahlem: Wie wird das Domänen-Gemüse darüber hinaus vermarktet?
Markus Heiermann: Traditionell geht der Großteil des Gemüses in den Hofladen. Ein weiterer Teil wird über die Plattform 2020 an ihrem Stand in der Markthalle Neun vermarktet. Sie beliefert auch die gehobene Gastronomie. Bei „Nobelhart & Schmutzig“2 beispielsweise wird immer wieder Gemüse von uns angeboten. Da steht dann in der Karte „Grünkohlspitzen von der Domäne Dahlem“…

Domäne Dahlem: Werden auch seltene Gemüsesorten auf der Domäne Dahlem angebaut? 
Markus Heiermann: Bei den Tomaten bauen wir einige alte Sorten und Raritäten an. Beispielsweise Primabella, eine hervorragende Freilandtomate, die wir auch beim Frühlingsfest als Jungpflanze verkaufen. Bei den Buschbohnen haben wir zum Beispiel die gelbe Wachsbohne Berliner Markthallen, bei den Zwiebeln Red Weatherfield und Dresdner Plattrunde, bei den Salaten Berliner Gelber und Bunte Forelle und beim Knoblauch über zehn verschiedene Raritäten. Insgesamt ca. 15 verschiedene Kulturen mit alten Herkünften oder Raritäten.

Domäne Dahlem: Und warum werden die alten Sorten hier angebaut?
Markus Heiermann: Wir sind im Saatgut Erhalter Netzwerk Ost (www.alte-gemuesesorten-erhalten.de), das sich darum bemüht, eine höhere Biodiversität bei den Nutzpflanzen umzusetzen. Wir produzieren das Saatgut nicht selbst, aber wir testen alte Sorten auf dem Betrieb in Anbau und Vermarktung. Wie beim Insektensterben, sterben auch immer mehr Pflanzensorten aus. Nicht aktiv, sondern eigentlich nur dadurch, dass sie nicht weiter als Saatgut produziert werden oder die Rechte3 an bestimmten Sorten auslaufen. Die Idee des Saatgut-Netzwerkes ist es, die alten Sorten aus den Genbanken zurück auf den Acker zu holen. Eine Pflanze hat vielleicht Resistenzen gegenüber Klimaveränderungen, kann sich eventuell besser anpassen, oder hat vielleicht Fähigkeiten, die eine moderne, hybride oder gentechnisch veränderte Pflanze vielleicht nicht hat. Zumindest gibt es Potenzial und man kennt das Potenzial nicht, wenn man die Pflanze nicht auch anbaut.

Domäne Dahlem: Wie werden die Ergebnisse überprüft?
Markus Heiermann: Das Projekt wird gefördert durch das Bundesprogramm zur Züchtung, Erhaltung und Nutzbarmachung von pflanzengenetischen Ressourcen. Wir bonitieren unsere Versuche auf den Feldern. Das bedeutet, wir schreiben auf, was uns auffällt: Wie sind die Pflanzen gewachsen? Gibt es einen besonderen Schädlingsbesatz? Oder im Gegenteil: Kann man beobachten, dass keine Schädlinge rangehen?

Domäne Dahlem: Kommen diese Gemüsesorten auch im Landgasthaus auf den Tisch?
Markus Heiermann: Auch, aber sie sind eher im Hofladen im Angebot. Wir bauen die alten Sorten meist im kleineren Umfang an, weil die Saatgutverfügbarkeit oftmals nicht so hoch ist.

Das Interview führte Signe Astrup.

Anmerkungen der Redaktion:
1Terra Preta ist eine dunkle, humus- und nährstoffreiche Erde, der eine besondere Fruchtbarkeit nachgesagt wird. Das Substrat besteht aus Kohle, Garten- und Küchenabfällen sowie Mikroorganismen, die die Pflanzen bei einem gesunden Wachstum unterstützen. Terra Preta stammt von der indigenen Bevölkerung im tropischen Regenwald.

2Das Nobelhart & Schmutzig ist ein, mit einem Michelin-Stern ausgezeichnetes, Restaurant in Berlin, das besonderen Wert auf regionale und saisonale Produkte legt.

3Das Saatgutrecht unterliegt den EG-Saatgutrichtlinien. Diese regeln das Saatgutverkehrsgesetz (SaatG). Die dazu erlassenen Verordnungen regulieren die Zulassung von Pflanzensorten sowie die Anerkennung und das Inverkehrbringen von Saat- und Pflanzgut.